Startseite / Gesundheitliche Chancengleichheit / Veranstaltungs­rückblicke / Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen

Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen – Fachtagung trifft den Nerv der Zeit

Scherenschnitt einer Familie auf Tisch, geschützt durch zwei Hände

© iStock.com/AndreyPopov

Psychisches Wohlbefinden ist neben dem körperlichen und sozialen Wohlbefinden ein wichtiger Aspekt menschlicher Gesundheit – auch schon in jungen Jahren. Krisenzeiten können das psychische Wohlbefinden aus dem Gleichgewicht bringen, weshalb das Thema gerade jetzt hoch brisant ist. Dies bestätigen auch die rund 830 Teilnehmenden, die am 20. September 2023 bei der Online-Fachtagung „Aufwachsen in Krisenzeiten – psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“ der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit Bayern zugeschaltet waren.

Krisen können das seelische Gleichgewicht ins Wanken bringen

Der erste bayerische Psychiatriebericht fasst die bestehende Daten- und Kenntnislage rund um psychische Gesundheit zusammen. Dabei sind drei unterschiedliche Bereiche relevant: Psychisches Wohlbefinden, psychische Belastungen und psychische Störungen bzw. Krankheiten. Nicht jede psychische Belastung führt zwangsläufig zu einer psychischen Erkrankung. Sie können aber das seelische Wohlbefinden aus dem Gleichgewicht bringen. Nach den Daten des Robert Koch-Instituts zeigen deutschlandweit etwas mehr als 17 % der Kinder und Jugendlichen und 28 % der Erwachsenen psychische Auffälligkeiten bzw. Störungen. Legt man die Zahlen der KiGGS-Studie zugrunde, wären im Freistaat Bayern von den etwa 2,1 Mio. Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren schätzungsweise 350.000 von psychischen Auffälligkeiten betroffen.

Im Laufe des Lebens treffen Menschen auf Krisen und müssen sich mit Problemen auseinandersetzen, die belastend sein können und die psychische Gesundheit beeinträchtigen können. Ein Beispiel hierfür ist die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Gegenmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung. Studien zeigen eine Zunahme von Depressionen und Angststörungen sowie Veränderungen im Suchtverhalten. Kinder und Jugendliche waren abrupt in ihren Entwicklungsbedürfnissen eingeschränkt, soziale Kontakte fehlten und zahlreiche Stressoren, die die seelische Gesundheit aus dem Gleichgewicht bringen können, kamen hinzu. Exemplarisch sind hierfür Existenzängste, Ohnmachts- und Angstgefühle, Einsamkeit und Einschränkungen der Handlungsfreiheit, fehlender Freizeitausgleich etc. Krisen wie diese gefährden die psychische Gesundheit und werden in Anbetracht von Kriegen und der Klimakrise nicht geringer. Die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen ist eines der zentralen Gegenwarts- und Zukunftsthemen.

Wie gelingt die Bewältigung von Krisen und Problemen?

Ziel ist es, Kinder stark zu machen, damit sie den Herausforderungen des Lebens gewachsen sind. Der Frage, wie dies gelingen kann, widmeten sich die vier Referentinnen der Fachtagung.

Die emotionale, psychologische und soziale Ebene sind von Bedeutung für das psychische Wohlbefinden. Aspekte wie Ausgeglichenheit, das Gefühl der Lebensfreude, ein positives Selbstbild oder die Befähigung, Gedanken, Emotionen und Verhalten in einen Ausgleich bringen zu können sind damit gemeint. Dies gelingt nicht immer gleich gut – die psychische Befindlichkeit der Menschen ändert sich und hängt von vielen Einflüssen ab, von biologischen Faktoren, persönlichen Schutzfaktoren und auch Ressourcen im Lebensumfeld der Person. Hierzu zählen u. a. Wohnverhältnisse, frühkindliche Erfahrungen oder belastende Lebensereignisse. Aus der Resilienzforschung sind Schutzfaktoren bekannt, die Kinder und Jugendliche gesund erhalten: Selbstwirksamkeit, ein positives Selbstkonzept, Optimismus, ein gutes Familienklima, elterliche Unterstützung, soziale Unterstützung sowie soziale Kompetenz.

Die Referentinnen verdeutlichten durch ihre beruflichen Erfahrungen und praxisnahen Projektbeispiele unterschiedliche Ansatzpunkte und die institutionelle Verantwortung zur Förderung der psychischen Gesundheit. Dabei umspannen die ausgewählten Praxisprojekte die Lebensphase der Kindheit bis ins Alter der Jugend.

Stärkung des psychischen Wohlbefindens über die Lebensphasen hinweg

Für Kinder und Jugendliche ist insbesondere eine konstante und unterstützende Bezugsperson (innerhalb oder außerhalb der Familie) bedeutsam. „Die Bindungssicherheit zur Mutter und anderen Bezugspersonen ist immens wichtig und wird schon in den ersten acht Wochen nach der Geburt geprägt“, so Dr. Margarete Liebmann, ärztliche Direktorin der AMEOS Klinika Inntal. In ihrem Einführungsvortrag „Das Kind und seine Psyche: Was ist schon normal?“ ging sie insbesondere auf Verhaltensaspekte der Eltern ein, die die Eltern-Kind-Beziehung nachhaltig prägen können und das psychische Wohlbefinden der Kinder beeinflussen können. Aufmerksamkeit, die Vermittlung falsch verstandener Rollenbilder, die Bindung zu einer Bezugsperson, das Setzen von Grenzen, Zutrauen und Mutmachen sowie Anerkennung durch eine Bezugsperson thematisierte sie durch eindrückliche Fallbeispiele. Einen besonderen Schwerpunkt legte sie auf das Erlernen, die eigenen Gefühle wahrzunehmen, auszudrücken und in Stresssituationen damit umgehen zu können.

Hieran schlossen sich die Ausführungen von Heidi Scheer, geschäftsführende Gesellschafterin der Papilio gGmbH an. Sie stellte das Projekt „Papilio-U3 – Auf die Beziehung kommt es an“ vor. Mit der steigenden Betreuungsquote von Kindern unter drei Jahren steige auch die institutionelle Verantwortung in Kindertageseinrichtungen sichere Bindungen durch feinfühliges Verhalten aufzubauen und sozial-emotionale Kompetenzen zu fördern. Hierfür setzt das Projekt bei der Fort- und Weiterbildung der Erzieherinnen und Erzieher an. „Herausfordernde Situationen im Kita-Alltag sind meist die emotionalen Situationen. Für den Umgang damit bietet Papilio Lösungen“, erläuterte sie. Einfache Spiele, Lieder und Übungen; die Vorbildrolle der Pädagoginnen und Pädagogen; die Nutzung verschiedener Emotionswörter; Emotion talk und der Hinweis auf Emotionen anderer Kinder sind konkrete Ansatzpunkte, die vermittelt und eingeübt werden.

Auf Initiative und mit der Unterstützung des regionalen Arbeitskreises „Psychische Kindergesundheit“ ist in der Gesundheitsregionplus Rottal-Inn das Präventionsprojekt „Superkids – jetzt erst recht!“ für die vierte Jahrgangsstufe an Grundschulen ins Leben gerufen worden. Im Fokus stehen dabei die Stärkung der psychischen Gesundheit, die Sensibilisierung für die Thematik und die Unterstützung der Eltern. Im Projektverlauf sind drei Module entstanden: ein Elternabend, eine 90-minütige Unterrichtseinheit und eine Schulheft-Broschüre. Durch die Schulung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren gelang es, das Pilotprojekt in ein flächendeckendes Angebot umzuwandeln. Sophia Thanhäuser, Geschäftsstellenleitung der Gesundheitsregionplus Rottal-Inn schilderte überzeugend den Weg und die Erfolge des Pilotprojektes.

Auf die besondere Situation von Geschwistern von Kindern mit Behinderung und/oder Erkrankung ging Marlen Förderer, Projektleitung von „Starke Geschwister“, ein. Daten zeigen, dass Geschwisterkinder ein leicht erhöhtes Risiko für die Ausbildung von psychischen Problemen und Auffälligkeiten aufweisen. Diesem Bedarf an präventiver Förderung der Resilienz und Stressbewältigungskompetenz begegnet u. a. das Projekt „GeschwisterCLUB“. Mit der Stresswaage gab Frau Förderer einen anschaulichen, methodischen Einblick in die Projektarbeit. Geschwisterkinder ergründen hierbei die Stresssituation, die Stressantwort genauso wie ihre ganz persönlichen Stresskiller. Die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und zu äußern ist ein klares Lernziel.

Weiterführende Informationen

Die Entstigmatisierung und Enttabuisierung psychischer Störungen ist weiterhin eine zentrale Herausforderung. Der Umgang mit psychischen Störungen ist für Betroffene und die Gesellschaft nach wie vor mit Ängsten, Scham und Abwehr verbunden. Die Vorbeugung, Früherkennung und Behandlung ist ein wichtiger Dreiklang. Neben den vorgestellten Präventionsprojekten leisten zahlreiche Akteure Unterstützungsmaßnahmen. Mit den Ausstellungen LebensBilderReise und Kindersprechstunde sensibilisiert auch das StMGP für die Thematik. Mit den Krisendiensten stehen Anlaufstellen für psychische Notlagen bayernweit bereit.

Quellen und vertiefende Zahlen, Daten & Fakten:

Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. (2021). Erster bayerischer Psychiatriebericht.

Die Vorträge der Referentinnen stehen auf der Webseite der Landeszentrale für Gesundheit in Bayern e. V. zum Download bereit.