Ein Blick hinter die Kulissen - Interview mit Iris Grimm
Als Ansprechpartnerin rund um das Themenfeld Gesundheitliche Chancengleichheit am ZPG begleitet Iris Grimm von Beginn an den Partnerprozess „Gesundheit für alle“ in Bayern. Sie betreut, unterstützt und koordiniert die beteiligten Kommunen, Landkreise und Gesundheitsregionenplus. Im Interview gibt sie einen Einblick in den Aufgabenbereich, die Zielsetzungen und Erfolge des Partnerprozesses.
Wie waren die Anfänge des Partnerprozesses?
Initiiert wurde der Partnerprozess durch den Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit. 2011 wurde er unter dem Motto – Gesund aufwachsen für alle! – gegründet. Der Fokus lag zu Beginn auf der Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen aus schwierigen Lebenslagen. Im Jahr 2015 wurde der Partnerprozess ausgeweitet auf alle Lebenslagen und -phasen und umbenannt in Partnerprozess „Gesundheit für alle“.
Warum ist die Thematik „Gesundheit für alle“ so wichtig?
Die Erfahrung der Partnerkommunen aus zehn Jahren Partnerprozess zeigt, dass die Thematik des gesunden Aufwachsens nach wie vor von großer Bedeutung ist. Allerdings haben sich im Verlauf und durch die Aktivitäten der Kommunen weitere Ideen und Ansätze entwickelt, auch ältere Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund durch entsprechende Maßnahmen und Projekte gezielt anzusprechen und einzubinden. Kommunen haben vielfältige Unterstützungsangebote für Menschen in schwieriger sozialer Lage etabliert und leisten damit einen Beitrag zur Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit. Doch oft laufen Angebote, beispielsweise aus den Gesundheitsämtern, der Jugendhilfe und dem Bildungsbereich, ohne Abstimmung nebeneinanderher. Der Aufbau integrierter kommunaler Strategien - häufig „Präventionsketten" genannt - soll dazu beitragen, diese wichtigen Angebote und Ansätze aufeinander abzustimmen und bedarfsgerechte Unterstützungsangebote über alle Lebensphasen hinweg sicher zu stellen. Menschen in allen Lebenslagen und -phasen sollen bei der Erhaltung und Förderung der Gesundheit unterstützt werden. Sozusagen „von der Wiege bis zur Bahre“, wie Prof. Rosenbrock dies einst benannt hat. Zudem ergibt sich daraus die Möglichkeit mehr teilnehmende Kommunen für den Partnerprozess zu gewinnen. Insgesamt haben sich viele neue Chancen zur Weiterentwicklung durch den Ausbau des Partnerprozesses ergeben – auch Inklusion und Gesundheitskompetenz sind Themenfelder, die für den Anspruch „Gesundheit für alle“ besonders relevant sind und zunehmend von Partnerkommunen in den Blick genommen werden.
Wie läuft die Teilnahme am Partnerprozess ab? Welche Schritte sind nötig?
Wir koordinieren und begleiten den Partnerprozess in Bayern, beraten die teilnehmenden Kommunen und möchten zur Qualitätsentwicklung in der Praxis beitragen. Wenn eine interessierte Kommune auf uns zukommt, frage ich als Erstes, was vor Ort (für die Kommune) wichtig ist. Das heißt welches Schwerpunktthema oder Projekt in den Fokus gerückt und durch die Teilnahme am Partnerprozess unterstützt werden soll. Die bedarfsgerechte Berücksichtigung regionaler Themen, sowie die allgemeine Förderung der gesundheitlichen Chancengleichheit stehen im Mittelpunkt der Zusammenarbeit. Anschließend findet meist eine Auftaktveranstaltung vor Ort statt. Dabei wird der Beitritt durch eine Urkundenunterzeichnung öffentlich bekannt gegeben. Eingeladen werden hierzu potentielle neue und bereits bestehende Netzwerkpartnerinnen und -partner der Kommune, die sich mit dem Thema gesundheitliche Chancengleichheit befassen. Weitere Schritte können dann eigenständig geplant, bei Bedarf auch von mir begleitet und unterstützt werden.
Was hat sich seit dem Start 2011/2012 verändert?
Verändert hat sich bei uns, dass ich am Anfang händeringend nach Kommunen gesucht habe und Überzeugungsarbeit leisten musste. Anfangs war es nicht einfach Kommunen zu finden, die beitreten wollen. Über viel Werbung, persönliche Kontakte und Netzwerkarbeit gelang es dann aber die ersten Kommunen für den Partnerprozess zu gewinnen. Mittlerweile kommen die Kommunen von selbst auf uns zu. Einen deutlichen Aufschwung gab es auch durch die Gründung der Gesundheitsregionenplus, einem Konzept des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, das die Verbesserung der Gesundheitsvorsorge und -versorgung sowie Pflege zum Ziel hat. Gesundheitsregionenplus haben durch ihre regionalen Netzwerke ideale Voraussetzungen für einen Beitritt zum Partnerprozess. Durch die Corona-Pandemie bemerken wir nun einen Stillstand der Beitrittszahlen aber ich bin guter Dinge, dass es nun wieder bergauf geht.
Worauf sind Sie und die weiteren Beteiligten rückblickend stolz?
Auf das große Engagement der Kommunen. Sie bleiben dran, beweisen einen langen Atem – auch unter Corona-Bedingungen, setzen sich für das Thema gesundheitliche Chancengleichheit ein, führen regelmäßig Veranstaltungen und Fortbildungen durch, initiieren Projekte und gründen themenbezogene Arbeitskreise. Besonders herausfordernd ist dabei, dass häufige Personalwechsel eine kontinuierliche Projektbegleitung erschweren, jedoch immer wieder der Partnerprozess neu ins Auge gefasst wird und mit einer neuen Stelle auch frischer Wind in die Thematik „Gesundheit für alle“ kommt. Die Partnerkommunen zeigen eine hohe Eigeninitiative. Beeindruckend ist auch, dass gemeinsame Projekte über mehrere Städte und Kommunen entstehen und sogar bundesweites Engagement besteht.
Welches war Ihr schönster Moment in den letzten 10 Jahren?
Allgemein bin ich vom Engagement aller Kommunen begeistert! Ich brenne für das Thema und freue mich sehr, dass ich diesen Prozess begleiten und unterstützen darf. Eine Kollegin meinte einmal: „Für den Partnerprozess tut sie alles“ – da hat sie irgendwie recht. Das hilft mir, wenn es einmal schwierig ist, dran zu bleiben und weiter zu machen. Dennoch gibt es Veranstaltungen, Themen oder Ideen, die einem besonders in Erinnerung bleiben. Besonders gefreut habe ich mich, als sich eigeninitiativ drei Regionen zusammengeschlossen haben, um gemeinsam eine Veranstaltung zu organisieren. So konnte gesundheitliche Chancengleichheit als Schwerpunktthema in den Fokus dreier Partnerkommunen gerückt werden. Darüber ist auch eine tolle Dokumentation entstanden. Begeistert war ich auch von einer Kommune, die die Thematik der Inklusion in den Fokus ihrer Arbeit gerückt hat. Mit Hilfe von Grafic-Recording wurden die wichtigsten Inhalte der Veranstaltung festgehalten und grafisch ansprechend dargestellt. Gerade in Pandemiezeiten standen wir immer wieder vor der Herausforderung, wie wir trotz der Einschränkungen erfolgreiche Präventionsarbeit leisten können. Eine Partnerkommune hat mit Hilfe von Videoclips und Kurzinterviews neue, digitale Wege eingeschlagen.
Was wünschen Sie sich für die nächsten 10 Jahre Partnerprozess?
Ich wünsche mir, dass noch mehr Kommunen dem Partnerprozess beitreten und die Themen in den Fokus nehmen. Außerdem würde ich mich freuen, wenn sich die Partnerkommunen gegenseitig motivieren und stärken. Beispielsweise durch den regelmäßigen Austausch untereinander und das gemeinsame Sammeln von Ideen. Es wäre toll, wenn die bereits beigetretenen Kommunen sich und auch potentielle neue Kommunen gegenseitig aktivieren und inspirieren. Es wäre schön, wenn sich dies eigendynamisch entwickelt.
Vielen Dank für das Interview!